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Pausentöne ,

Seit Jahrzehnten führt Milan Turković das Leben eines vielbeschäftigten Musikers. Und dann kam 2020 für ihn – wie für fast alle Kunstschaffenden – die Vollbremsung in die erzwungene, Applaus-lose Zeit, die er dazu nützte, um seine Gedanken zu Papier zu bringen:
So erinnert sich der Fagottist und Dirigent an seine ersten Reisen als junger Musiker mit Nikolaus Harnoncourt und dem Concentus Musicus, seine Studien- und Lehrjahre, er erzählt von Künstlergarderoben, Hotels und unverhofften Begegnungen – um diese Erlebnisse aus heutiger Sicht zu rekapitulieren.
Und überhaupt, das Heutige:
Mit epikureischer Gelassenheit beobachtet er die Segnungen von Internet und Zoom-Konferenzen, über das um sich greifende Du in der Werbung und in der Gesellschaft. Er macht sich aber auch Gedanken über die Zukunft der klassischen Musik und den Zugang zum Faszinosum Oper. Ein heiter nachdenkliches Lesebuch, ein wenig nostalgisch, sehr persönlich und vor allem überaus erfrischend.

Geboren in eine österreichisch-kroatische Familie in Zagreb, erlebte Milan Turković als Kind sowohl den Faschismus in Jugoslawien als auch das Tito-Regime. Nur der Courage seiner Mutter ist es zu verdanken, dass sie mit ihrem Sohn wieder in ihre ursprüngliche Heimat Österreich ausreisen durfte. Im Wien der Nachkriegszeit lernt er im Salon der Mutter, selbst Sängerin, viele prominente Künstler kennen, die ihn inspirierten und seine Liebe zu Bühne und Musik begründeten.

Milan Turković kann auf eine weltweite Karriere als Musiker verweisen. Nach Engagements bei den Bamberger Symphonikern und den Wiener Symphonikern arbeitete er als Fagott-Solist und Kammermusiker und trat zudem bei unzähligen Festivals von Wien bis New York auf. Er war unter anderem ein langjähriges Mitglied des Concentus Musicus Wien, des Ensemble Wien-Berlin und der Chamber Music Society of Lincoln Center in New York. Seit den Achtzigerjahren ist er als Dirigent tätig. Ebenso genießt er als Pädagoge internationale Bekanntheit. Turković hat zeitweise als Fernsehmoderator gearbeitet. Seine bisher veröffentlichten Buchtitel sind „Die seltsamsten Wiener der Welt“, Ko-Autorin Monika Mertl, Residenz / 2003, „Hast du Töne“, Residenz / 2005, „Was Musiker tagsüber tun“, Kremayr & Scheriau / 2007, „Wiener Leben. Wien erleben“, Kremayr & Scheriau / 2012 und „Lebensklänge“, Ibera / 2019.

»Der renommierte und nicht nur in Fachkreisen bekannte kroatisch-stämmige Fagottist Milan Turković hat während der Corona-Pandemie der Reihe seiner feinspitzigen Betrachtungen in Buchform eine weitere hinzugefügt, die kürzlich beim umtriebigen Wiener Verlag Der Apfel erschienen ist. Der Titel des 124 Seiten umfassenden Taschenbuchs – „Pausentöne“ – darf selbst als kleines literarisches Meisterwerk bezeichnet werden: gibt er doch in seiner dezent angedeuteten, philosophisch anmutenden Widersprüchlichkeit der aufmerksamen Leserschaft vorab gleich einmal einen reizvollen Denkanstoß, um welche Art von Tönen es sich denn handeln könnte, die gerade in einer Pause erklingen sollten, wo doch der Fluss der Melodie eigentlich durch einen Moment der Stille unterbrochen wird …

Wobei bei der Lektüre des sehr persönlich gehaltenen Opus dann rasch klar wird, dass es sich bei der Pause, von welcher im Titel die Rede ist, um die mehr oder weniger zwangsweise verordnete Unterbrechung der Konzerttätigkeit des Autors handelt, die im Zuge der Covid-Pandemie gerade die Künstlerinnen und Künstler in besonderer Weise betroffen hat. Für Turković allerdings kein Grund zu selbstmitleidigem Lamento, sondern Anlass zurückzuschauen auf eine lang währende, überaus erfolgreiche Karriere, und diese gerade vom Blickwinkel der Mobilität, der weltweiten Reisetätigkeit aus zu reflektieren. In gewisser Weise also eine paradoxe Intervention? Und dabei gibt es Einiges zu erfahren über die Reisegewohnheiten berühmter Kolleginnen und Kollegen, über die Ausstattung der Künstlerzimmer rund um den Globus oder über die höchst unterschiedlichen Umgangsformen, mit denen man in den verschiedenen Ländern den künstlerischen Gästen begegnet. Im doppelten Sinne Hintergründiges, mit Wohlwollen und feinem Humor präsentiert: wahrscheinlich nicht der Stoff, der die „breiten Massen“ anlockt und ein Büchlein wie dieses zum Bestseller macht, aber durchaus ein reizvolles Stück Künstlerleben, aus nicht alltäglicher Perspektive geschildert, dessen Lektüre man einer feinspitzigen Leserin bzw. einem ebensolchen Leser gerne ans Herz legen wird, insbesondere, wenn sie bzw. er bereits ein gewisses Vorverständnis für die Welt der „Klassik“ (der Begriff wird von Turković im Rahmen seiner Ausführungen selbst aufgegriffen und kritisch beleuchtet) mitbringt (andernfalls, könnte man sich vorstellen, wird es mit dem Zugang vielleicht ein wenig schwierig).

Das gilt in etwa auch für die zweite Hälfte des Textes, in welcher der Autor, sozusagen von seinem ursprünglichen Fokus weiter voranschreitend, Einblick gibt in so manche Überlegung, die ihn anscheinend während der diversen Lockdowns etc. „angewandelt“ hat: zu so unterschiedlichen Themen wie der Zukunft der Oper, der Gendergerechtigkeit oder den um sich greifenden Anglizismen in der deutschen Sprache. Kluge Wortmeldungen, ohne Anspruch auf Allgemeingültigkeit vorgetragen, denen man nicht in allem zustimmen muss (was aber auch gar nicht die Erwartungshaltung zu sein scheint). Die es aber aufgrund der Welterfahrenheit ihres Autors, wohl aber auch aufgrund seines Sachverstands (z.B. in der englischen Sprache) und seiner feinen Ironie wert sind, gehört zu werden. Vor allem dort, wo die aufgezeichneten Beobachtungen die Leserin bzw. den Leser dazu ermutigen können, durchaus auch eigene Gewohnheiten mit einem Lächeln zu hinterfragen.

21 farbige Abbildungen, zum Großteil aus dem Privatarchiv des Autors, laden ein, das Gelesene quasi optisch zu vertiefen. Sie dienen teilweise der Dokumentation dessen, was in der Rückschau berichtet wird, teilweise sind sie von beinahe symbolhaft-atmosphärischem Gehalt und vermitteln Stimmungen und Haltungen. Alles in allem also kein „Muss“. Aber eine vorbehaltlose Empfehlung an alle, die gerne einmal eine Pause machen wollen, um sie mit sinnvoll Tönendem auszufüllen.«

Valentino Hribernig-Körber / Der Neue Merker

»Neben pointierten Geschichten grübelt Turković im neuen Buch über so unterschiedliche Themen wie Sprachkritik, das Du-Wort, Grußformeln, die Zukunft der klassischen Musik und den Applaus, die vielleicht wichtigste Währung unter Musikern.«
Samir H. Köck / DIE PRESSE

»Seit 1957 führte der Fagottist und Dirigent Milan Turkovic (83) das bewegte Leben eines viel beschäftigten Musikers. Bis 2020 auch für ihn wegen Corona eine Vollbremsung erfolgte. Diese erzwungene Freizeit nützte der Perchtoldsdorfer, der mit der langjährigen Fernsehmoderatorin Ingrid Wendl verheiratet ist, um seine Gedanken zu Papier zu bringen.
So erinnert sich der gebürtige Zagreber an die ersten Reisen als junger Musiker mit Nikolaus Harnoncourt und dem Concentus Musicus. Er erzählt von Künstlergarderoben und Hotels aller Arten und Qualitäten sowie unverhofften Begegnungen. Interessant auch die Aussage, dass Musiker in Amerika nicht den gleichen Stellenwert wie in Europa haben.
Andererseits bricht Turkovic, der Ende August im Rahmen der Millstätter Musikwochen die Grazer Philharmoniker dirigierte, auch eine Lanze für das Internet als Kultur- und Kommunikationsretter während der Pandemie, macht sich aber auch Gedanken über die Zukunft der klassischen Musik.Wobei Umfragen nach Klassikvorlieben in Deutschland 0,8 Prozent, in Österreich aber immerhin 6,5 Prozent ergaben.
Dieses heiter-nachdenkliche Lesebuch wurde im Kulturverlag „Der Apfel” verlegt.«
Hans Böger / Niederösterreichische Nachrichten

Milan Turković über die verbindende Kraft der Musik
»Gleich vorweg: „Pausentöne” ist ein unterhaltsames Buch. Milan Turković fragt sich in seinem Vorwort selbst, ob vor dem Hintergrund des aktuellen Ukraine-Krieges solche „zum Teil lockeren und auch Beiläufigerem zugewandten Texte aus der Zeit gefallen” seien. Das kann man klar verneinen, denn stets schlägt er auch nachdenkliche Töne an. Wir haben den Autoren telefonisch in Wien erreicht und sprachen mit ihm auch über die verbindende Kraft der Musik.
Die nachdenklichen Untertöne in „Pausentöne” legen die Frage nahe, ob er ein politisch denkender Mensch sei. „Ich bin kein Politiker – ich bin Musiker!” entgegnet er vehement. Doch trotzdem (oder gerade deshalb) hat er als Musiker eine deutliche gesellschaftspolitische Meinung. Da werden keine Klippen umschifft, um Unbequemes zu meiden, das ist kein „Wischiwaschi”, Turković äußert sich ganz direkt. Dass Donald Trump der „merkwürdigste US-Politiker der jüngsten Geschichte” ist, mag da als Faktum gelten. Er hat eine klare Meinung zur Zukunft der klassischen Musik („Wir Klassiker lernen ständig dazu, um gehört und gewollt zu werden”), zur Sprache („Unser wehrloses Opfer”) und zum Internet („Kommunikationsretter”). „Die Vollbremsung des bis dahin lebendigen Lebensflusses im März 2020 regte an, zusätzlich über die schönen und weniger guten Entwicklungen unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens nachzudenken.”
Und so ist „Pausentöne” – Turković’ sechstes Buch – auch ein Ergebnis von Corona. „Mitten im regen Treiben des Konzertlebens kam der plötzliche Stillstand”, erklärt er. Professionelle Musikerinnen und Musiker seien in der Regel auf das Reisen angewiesen, doch jetzt war man plötzlich zu Hause. Was kann man da tun? „Daumen drehen, Balkonkonzerte geben, sich Gedanken machen, Bücher schreiben.” Das Reisen an sich, erzählt er, habe er erst einmal gar nicht vermisst. Erst nach einer Weile habe sich ein gewisses Fernweh eingestellt. Er gibt zu: „Mir ging es aber auch gut – mit meinem Garten und meiner Gelassenheit, die vermutlich dem Lebensalter geschuldet ist. Es war ja ein schönes, ein warmes und ein trockenes Frühjahr.”
Milan Turković denkt an die vielen jüngeren Musikerinnen und Musiker, die es nicht so gut hatten. Denn gerade die seien auf Konzerte angewiesen – „nicht nur aus finanziellen Gründen, sondern auch um auf der musikalisch-kulturellen Landkarte zu bleiben”. Er habe Freunde in den USA, die von der Metropolitan Opera „vom einen auf den anderen Tag entlassen wurden. Da war es ja fast schon angenehm, wenn man wie die Münchner Philharmoniker ‘nur’ in Kurzarbeit musste.”
Doch je länger Turković seinen Garten genießen durfte, desto mehr dachte er über das Reisen nach. „Normalerweise steht da ein Koffer herum, der immer halb gepackt ist. Nun war gar kein Koffer mehr nötig …” Er erzählt und schwärmt (und schreibt davon auch ausführlich in seinem Buch) von seinen zahlreichen Auslandserlebnissen. Er berichtet von „merkwürdigen Konstellationen” in China oder von einer Nordamerika-Tour, als er „binnen 30 Tagen 25 Konzerte in 25 Städten” spielte.
In Japan kam es fast zur diplomatischen Irritation, weil ein Tenor krank war und trotzdem singen sollte. „Ich war wütend, denn als Dirigent lag die Hauptverantwortung schließlich bei mir. Und ich schlug – wie man so schön sagt – einen Krach. So etwas macht man in Japan nicht! Solches Verhalten – sollte es nur ein Minimum an Berechtigung besitzen – impliziert den oft zitierten Gesichtsverlust auf der anderen Seite.”
Auf die Frage, ob denn Musik die Welt verändern könne, antwortet Milan Turković sehr schnell: „Nein! Leute, die so etwas behaupten, geben sich einer Illusion hin. Leider ist es eine Utopie, wenn man meint, Kultur könne bahnbrechend Frieden zwischen den Nationen stiften.” Und doch wird deutlich – wenn vielleicht auch zwischen den Zeilen – welche große gesellschaftspolitische Bedeutung der Musik beigemessen werden kann. Natürlich sei „Musik dazu imstande, Völkerverständigung zu realisieren, das Verständnis füreinander aufzubauen – wenn man sich an die Spielregeln hält”.
Doch das ist für den 82-Jährigen keine neue Erkenntnis. „Das lehrt uns die Musikgeschichte ohnehin! Wenn Joseph Haydn in London wirkt, Wolfgang Amadeus Mozart nach Mannheim reist oder Lorenzo da Ponte nach New York – dann ist das nicht nur bemerkenswert mit dem Wissen der heutigen Technologie und den Reisemöglichkeiten, sondern zeigt auch die verbindende Kraft der Musik.” Oder wenn er als Wiener daran denke, welche weltumspannende Bedeutung das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker hat. Utopie hin, Illusion her – »es ist ein Faktum, dass Musik – gehört und gespielt – Glückshormone ausschüttet«. Und dementsprechend im Menschen etwas auslöst.
Dabei ist es zunächst einmal zweitrangig, über welche Musik man spricht. Und auch wenn Milan Turković manche Entwicklungen kritisch sieht, über die Zukunft der Klassik macht er sich keine Sorgen: „Die Klassik ist so vielfältig wie nie zuvor!” Allein den Umgang mit der Sprache bedauert er. Dialekte verschwinden, selbst „österreichisches Hochdeutsch”. Mit manchen Anglizismen hat er ebenfalls so seine Probleme. Der BRAWOO – noch so ein Anglizismus! – hat er trotzdem sehr gerne ein Interview gegeben. Er lacht.«
Klaus Härtel / BRAWOO – Brass Wood Orchestra

„Pausentöne“ – Über die Stille in der Musik
»Als vor rund zwei Jahren der international höchst renommierte Fagottist und weltweit gefragte Dirigent Milan Turkovic im alpha zu Gast war und sein neues Buch „Lebensklänge – Eine Erinnerung“ vorstellte, hätte er sich wohl kaum träumen lassen, dass er schon in nächster Zukunft Zeit und Muße für ein neues, ein sechstes Buch finden würde. Zwar traf der allgemeine, durch die Corona-Pandemie verursachte Stillstand fast alle Lebensbereiche hart, erlaubte es aber Professor Turkovic, einmal mehr auf seine Erinnerungen an seine künstlerische Entwicklung und Karriere zurückzugreifen und diese im Buch „Pausentöne“ in einer kurzweiligen Sammlung von Anekdoten und Episoden zu vereinen.
Er erzählt über die ersten, harten Jahre, so zum Beispiel über seine erste Konzertreise nach Paris mit der musikalischen Jugend – 23 Stunden zu acht in einem Bahnabteil, mit selbst mitgebrachtem Proviant – heute kaum vorstellbar, damals für die Jungen eine „Hetz“!
Eine besondere Beziehung hat Milan Turkovic zu New York entwickelt, wo er neunzehn Saisonen als einziger Europäer in der Chamber Music Society des Lincoln Center spielte. Über die Zusammenarbeit zwischen der Chamber Music Society und dem „Jazz at the Lincoln Center“ schloss er mit dem Faszinosum Jazz und bedeutenden Vertretern der Szene Bekanntschaft. Der Trompeter Wynton Marsalis wurde für ihn ein inspirierender Freund, der so wie er in Klassik und Jazz zu Hause ist und eigens für ihn zum 60. Geburtstag ein Stück für Fagott und Streichquartett komponiert hat.
In den „Pausentönen“ beschäftigt sich Milan Turkovic abseits der Anekdoten aber auch mit Themen wie der Zukunft der klassischen Musik oder dem Applaus, die für ihn „vielleicht wichtigste Währung“ für Musiker. Und was das Phänomen „Stille“ betrifft: sie ist für ihn sehr wichtig, die alltägliche Stille, aber vor allem die Stille in Musikstücken, denn „Überspitzt gesagt, sind die Pausen oft das Schönste in der Musik.“
Doch davon mehr im Gespräch mit Milan Turkovic, zu dem der Club alpha herzlichst einlädt!
Milan Turkovic, 1939 in Zagreb geboren, aufgewachsen in Wien. Er spielte u. a. bei den Wiener Symphonikern, in der Chamber Music Society des Lincoln Center, im Ensemble Wien – Berlin sowie unter Nikolaus Harnoncourt im Concentus Musicus; seit 35 Jahren weltweit als Dirigent tätig. Er ist mit der ehemaligen Eiskunstläuferin und Fernsehmoderatorin Ingrid Wendl verheiratet.«
Maria Rauch-Kallat / Club alpha

„Jedes Ding hat seine Zeit“ – ein Treffen mit Ingrid Wendl und Milan Turković in Berlin

»Mancher Mensch leuchtet von innen heraus. Ingrid Turković-Wendl zum Beispiel. Ich habe die frühere Weltklasse-Eiskunstläuferin und ihren Ehemann Milan Turković, ehemals führender Fagott-Solist und heuer ein hochgeachteter Dirigent und Musiker zu einem Nachmittag und Abend in die Deutsche Oper Berlin eingeladen. Wir trafen uns im Restaurant meines Opernhauses und konnten bei herrlichem Frühsommerwetter den kleinen Götz-Friedrich-Platz mit seinen Fontänen genießen.
Sprachen wir anfangs über den Zauber der großen europäischen Hotels, die beiden residierten angemessen im Adlon, und über die Nähe des Eiskunstlaufes zum klassischen Ballett -am Nebentisch spielte die Primaballerina assoluta Polina Semionowa mit ihren Kindern- landeten wir doch sehr bald bei musikalischen Themen. Mit einem bescheidenen Augenaufschlag ihrer strahlend klaren Augen gab Ingrid Wendl an, eigentlich nichts von Musik zu verstehen, ihr Zugang sei rein emotional und die Parallelen vom Eiskunstlauf mit dem Musikerberuf lägen lediglich in der täglichen Trainingsdisziplin. Und gerade dies, so war mein Eindruck, schuf eine besondere Nähe zwischen diesen beiden Menschen. Während Milan Turković und ich noch Erinnerungen an meine Studienzeit bei ihm am Mozarteum Salzburg ausgetauscht haben, hat sie sich -unglaublich dezent- die Fingernägel in sanftem Rot nachlackiert und trotzdem kein Wort verpasst. Ich saß in diesem Augenblick einer Dame von Welt gegenüber und hätte beinahe das Hauptthema unseres Gespräches verpasst. Denn eigentlich wollte ich etwas über das neue Buch von Milan Turković in Erfahrung bringen, welches wenige Tage zuvor in der Traditionsbuchhandlung Morawa in der Wiener Wollzeile -seit 1886 eine Institution in der Donaustadt- durch den österreichischen Schauspieler, Regisseur und Theaterintendanten Michael Schottenberg präsentiert worden war. Ob sie ihn beim Schreiben unterstütze, ob sie Themen der Bücher von Milan gemeinsam diskutieren, wollte ich von Ingrid Turković-Wendl wissen. „Oh nein“, war die Antwort, „Milan ist für mich der wundervollste Mensch der Welt und ich unterstütze ihn, wo ich kann. Aber zum Schreiben der Bücher braucht er die Ruhe der Nacht und ich dann meine Nachtruhe.“ Schmunzelnd gestand Turković, dass er zum Partiturstudium die Konzentration des hellen Tages brauche. Erst in der Nacht könne er seinen Gedanken freien Lauf lassen, nicht selten schriebe er bis zum Morgengrauen.Mir fiel eine Passage aus „Der Rosenkavalier“ ein: „Manchmal steh‘ ich auf mitten in der Nacht und lass die Uhren alle, alle stehn.“
Seit 2003 ist Turković so als Autor tätig, bezeichnet sich selbst als „schreibenden Nebenerwerbs-Landwirt, der seiner Liebe zum Schreiben mit lässigem Gleichmut und ohne konkrete Ziele fröhnt.“
War sein erstes Werk der Blick hinter die Kulissen des 1953 von Nikolaus Harnoncourt gegründeten Concentus musicus, folgten in den Jahren danach unter den Titeln „Hast Du Töne“ und „Was Musiker tagsüber tun“ Betrachtungen -stets gewürzt mit wunderbaren Anekdoten- über den Musikerberuf und dessen Vielfältigkeit, über das Üben, das Studium, den Konzertalltag, die Reisen und die Lehrtätigkeit. In „Wiener Leben.Wien erleben“ setzte er 2012 seiner geliebten Heimatstadt ein kleines literarisches Denkmal. 2019 schrieb er seine autobiographischen „Lebensklänge“, erschienen bei Iberia. Und dann kam 2020 für ihn und den Rest der gesamten Menschheit die so quälende Musik- und Applaus-lose Zeit. „Die Zeit, die ist ein sonderbar´ Ding. Wenn man so hinlebt, ist sie rein gar nichts. Aber auf einmal, da spürt man nichts als sie.“ Ähnliche Gedanken wie die der Marschallin aus der bereits oben zitierten Strauss-Oper wird wohl auch Milan Turković gehabt haben und hat in seinem neuen Buch „Pausentöne“ (Verlag Der Apfel, Wien 2022), seine nächtlichen Betrachtungen über sich selbst, über seine Mitmenschen und die Welt überhaupt zu Papier gebracht. Er erinnert sich an seine ersten Reisen, vergleicht eindrucksvoll die eher einfachen Garderoben von damals mit den späteren, die ihm als Künstler von Weltruhm zur Verfügung standen. Mit einer gewissen Wehmut beschreibt er die „Holzklassen“ der damaligen Reisemöglichkeiten und hält sie in seiner Erinnerung in Ehren. Immer wieder spiegelt er die Vergangenheit mit dem Heutigen, beschreibt gelassen, welch zweifelhafte Segnungen durch das Internet, durch Zoom-Konferenzen, durch die immer weiter um sich greifende „Du“-Anrede in der Werbung der Menschheit dargereicht werden. Auch seine Gedanken über die Zukunft der klassischen Musik und den Zugang zur Oper als Kunstform sind sehr lesenswert. Milan Turkovićs Schreibstil ist hier seiner Musizierkunst durchaus verwandt, nämlich glasklar pointiert, präzise formuliert, gut präsentierte und nicht zu viele Verzierungen in Form von Anekdoten an den richtigen Stellen und ein gut dosierter Wechsel zwischen heiteren und nachdenklich-ausdrucksstarken Momenten in den literarischen Kadenzen. So ist mit „Pausentöne“ ein sehr persönliches und überaus lebhaftes Lesebuch entstanden, was man entweder in kleinen Einheiten oder, flexibel den Gedankenwelten Turkovićs folgend, als Ganzes genießen kann.
Wir haben damals unseren Abend in der Deutschen Oper Berlin ausklingen lassen. Zuerst habe ich meinen Gästen einen kleinen Blick hinter die Kulissen des zweitgrößten deutschen Opernhauses ermöglicht und anschließend waren wir in der Vorstellung von Mozarts „Die Zauberflöte“. Mein Kollege Selim Aykal und ich im Orchestergraben als Fagottisten und das Ehepaar Turković als Besucher. Der Autor dieser Zeilen schreibt übrigens zumeist in den Morgenstunden Beiträge wie diesen. Und dann heißt es wie im „Rosenkavalier“: „Jetzt wird gefrühstückt. Jedes Ding hat seine Zeit.“«

Holger Simon / <rohrblatt> Die Zeitschrift für Oboe, Klarinette, Fagott und Saxophon

»In der Corona-Krise wurde das öffentliche Leben vielerorts lahmgelegt. Diese gesellschaftliche Vollbremsung hat der Fagottist und Dirigent Milan Turković genutzt, um sich Gedanken zu machen: über das Musikerleben, die Zukunft der klassischen Musik, aber auch über Sprache oder zwischenmenschliche Begegnungen. „Da für uns Musiker der Applaus ein wichtiger Bestandteil der Existenz ist“, schreibt er im Vorwort, „war es nur allzu logisch, dass ich mich diesem Thema in der Applaus-losen Zeit mit besonderer Zuneigung widmete.“
Vor allem das Thema Reisen behandelt Turković ausgiebig. Er erinnert sich an seine erste Konzertreise 1957 nach Paris, die wenig Komfort, dafür aber einige Abenteuer bot: Man wohnte im Studentenheim, tändelte mit den Pariserinnen und spielte Seite an Seite mit keinem Geringeren als Zubin Mehta. In den siebziger Jahren tourte Turković mit dem Concentus Musicus durch die Welt, absolvierte ein wahres Mammutprogramm und begann, Kofferaufkleber zu sammeln. Er erzählt vom Unterschied zwischen japanischen und europäischen Garderoben, von einem Hotelspuk in Bielefeld und von den Mühen, ein Instrument im Flugzeug mitzunehmen: Cellisten etwa müssen für ihr Cello einen zweiten Sitzplatz buchen, was dazu führte, dass Nikolaus Harnoncourt auf einem Flug auch für sein Instrument ein Menü forderte.
Solch beschwingte Anekdoten bilden den Rahmen für ernstere Überlegungen, etwa zur Brückenfunktion von Kultur und Musik („Leider ist es eine Utopie, wenn man meint, Kultur könne bahnbrechend Frieden zwischen den Nationen stiften“), zur Zukunft der klassischen Musik („Was macht die Minderheit in der Kaste ,Klassik‘, wenn sie von der Mehrheit nicht nur überstimmt, sondern in akustische Geiselhaft genommen wird?“) oder zu zeitgeistigen Umdeutungen von Opern – wobei Turković meint, „dass ein Opernkunstwerk dem Publikum so erzählt werden sollte, wie es vom Autor und Komponist geschrieben wurde“. Und schließlich verlässt er das musikalische Universum und widmet sich der Sprache, die ihm als Autor mehrerer Bücher ebenfalls am Herzen liegt.
All das ergibt einen charmanten Streifzug durch Turkovićs Gedankenwelt, der von einem Thema zum anderen mäandert und Einblicke in die Lebensumstände und Ansichten eines Musikers gewährt. Mag der Text auch gelegentlich den Eindruck einer gewissen Ziellosigkeit erwecken, so ist er in seiner Gesamtheit doch das erfrischende Zeitdokument eines Mannes, der sich der Musik verschrieben hat und gleichzeitig gesellschaftliche Entwicklungen aufmerksam verfolgt.«

Irene Binal / Das Orchester

124 Seiten, 21 Farbabbildungen

 22,50

Product ID: 740 Kategorien: ,
Autor

Milan Turkovic

ISBN

978-3-85450-149-7

Seiten

124

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